Ein Zollbeamter, sehr diskret,
zum Beten in den Tempel geht.
Zur gleichen Zeit, am gleichen Ort,
bewegt ein zweiter Mann sich dort:
Ein Pharisä'r mit stolzem Schritt
dem Tempelbau entgegentritt.
Hoch trägt die Nase er erhoben,
nein, nicht um Gott, um sich zu loben.
So wandelt er durchs Heiligtum;
vor Ehrfurcht bleibt ein jeder stumm.
Er baut sich auf in erster Front
und säuselt hold und sehr gekonnt,
und voller Selbstgerechtigkeit
zeigt auf der andern Schlechtigkeit.
„Oh, Herr, mein Gott, ich danke dir,
dass ich nicht bin wie andre hier,
nicht so verdorben und verkommen -
vielleicht der Priester ausgenommen -
wie Diebe, Räuber, Ungerechte,
Verbrecher, Mörder, andre Schlechte,
auch Ehebrecher, Übeltäter,
Betrüger, Lügner und Verräter.
Pro Woche zweimal, wie man soll,
da faste ich - ist das nicht toll!
Und zehn Prozent, von dem was mein,
das opfre ich - stolz kannst du sein!
Ich bete ständig ohne Rast -
oh Herr, wie gut, dass du mich hast!“
Noch lange ist die Litanei
von Eigenlob und Prahlerei.
Er nimmt den Zöllner zum Exempel,
der ganz weit hinten in dem Tempel,
von Schuld und Reue schwer geplagt,
nicht mal sein Haupt zu heben wagt.
Egal, mit wem man sich vergleicht,
ein Wohlgefühl man stets erreicht
von Ehre und Zufriedenheit,
getüncht mit Selbstgerechtigkeit.
So sonnt man sich, ganz ungemein,
im Flutlicht seines Heil'genschein.
Wie schon geahnt, liegt man hier schief,
denn Gutsein ist nur relativ.
Wenn's nur drum ging, jemand zu finden,
der mehr als ich verstrickt in Sünden,
wär' es nicht schwer, das leuchtet ein,
vor Gott, dem Herrn, gerecht zu sein.
Vergleichsmodell jedoch nun ist
kein Räuber, sondern Jesus Christ,
der voller Liebe und Geduld
gelebt hat - gänzlich ohne Schuld.
|